Zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie sind wir alle aufgefordert, zwischenmenschliche Kontakte einzuschränken. Dies soll nicht nur durch Appelle an Rücksichtnahme und Vernunft erreicht werden, sondern auch durch eine Vielzahl an Regeln, die ein Zusammentreffen von Menschen nur unter bestimmten Voraussetzungen und Einschränkungen erlauben oder ganz untersagen. Während wir alle von diesen Maßnahmen betroffen sind und die damit verbundenen Zumutungen in Kauf nehmen müssen, um Mitmenschen vor Infektionen zu schützen und die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung sicherzustellen, sind bestimmte Personengruppen von solchen und von noch weitergehenden Einschränkungen in unverhältnismäßiger Weise betroffen.
Der Runde Tisch Menschenrechte der Stadt Salzburg will mit dieser Stellungnahme auf einzelne Konstellationen hinweisen, die bislang in den öffentlichen Debatten über die Corona-Situation nur wenig Beachtung gefunden haben. Damit soll zu einer weiter differenzierteren Einschätzung in Bezug auf die Erhaltung notwendiger Kontaktstrukturen beigetragen werden. Denn auch wenn Leben und Gesundheit ein hohes Gut sind, geht ihr Schutz nicht zwingend allen anderen Interessen vor. Die unterschiedlichsten Menschenrechte, in die durch Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie eingegriffen wird, verlangen vielmehr Abwägungen und einen fairen Ausgleich der betroffenen Interessen.
Strikte Kontaktbeschränkungen treffen vor allem Personengruppen, die in einem institutionellen Umfeld leben oder sich in einem solchen aufhalten. Hier werden zahlreiche Einschränkungen vorgesehen, die über die allgemein geltenden Maßnahmen noch hinausgehen. Betroffen sind beispielsweise folgende Personengruppen:
• Kinder bei Pflegefamilien oder in betreuten Einrichtungen
• ältere Mitmenschen, die in Seniorenwohnhäusern leben
• chronisch kranke Menschen in stationärer Behandlung
• Bewohner*innen von Einrichtungen für Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen oder psychischen Erkrankungen
• Gefangene in den Justizanstalten
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass manche Gruppen von den allgemeinen, für uns alle geltenden Kontaktbeschränkungen in stärkerem Maße betroffen sind. Manche Menschen sind aufgrund ihrer Lebenssituation oder ihrer persönlichen Umstände mehr als andere auf soziale Kontakte angewiesen. Das kann seine Ursache in der psychischen Verfassung haben, aber auch in einer latent vorhandenen Einsamkeit oder in mangelnden Möglichkeiten, die eigene Isolierung auszugleichen.
Aus Sicht des RTMR ist es daher geboten, bei allen Einschränkungen sozialer Kontakte die Auswirkungen auf diese besonders verletzlichen Gruppen zu berücksichtigen. Dabei ist es wichtig, die ganz unterschiedlichen psychischen Bedürfnisse und die Vielfalt familiärer und sozialer Beziehungen auch jenseits der Kernfamilie nicht aus den Augen zu verlieren.
Kinder und Jugendliche
Obwohl Kinder bis zum 12. Lebensjahr nach dem derzeitigen Wissensstand in wesentlich geringerem Ausmaß zum Infektionsgeschehen beitragen, wirken sich viele der zur Bekämpfung der Pandemie ergriffenen Maßnahmen besonders stark auf sie aus. Das gilt nicht nur für die vorübergehenden und wiederkehrenden Schulschließungen, sondern auch für den Entfall der allermeisten Freizeit- und Sportangebote und die Einschränkungen der Kontakte zu Freund*innen und Verwandten.
Besonders hinzuweisen ist auf die Situation von Kindern, die bei Pflegefamilien oder in sozialpädagogischen Einrichtungen untergebracht sind. Sie müssen derzeit starke Eingriffe in ihr durch die Verfassung garantiertes Recht auf regelmäßigen Kontakt zu beiden Elternteilen hinnehmen. Die Kontakte zu ihren Herkunftsfamilien sind viel stärker eingeschränkt als für Kinder von getrennt lebenden Eltern. So waren/sind zeitweise Übernachtungen bei den Eltern gänzlich ausgeschlossen oder müssen die Kinder nach der Rückkehr von einem Familienbesuch zwei Tage Isolierung in ihrem Zimmer in Kauf nehmen. Es widerspricht dem verfassungsrechtlichen Prinzip des Kindeswohlvorrangs, wenn dem Schutz der Gesundheit generell mehr Gewicht beigemessen wird als den Bedürfnissen und Rechten von Kindern.
Angesichts der inzwischen verfügbaren Schnelltests sollte überdacht werden, ob derart gravierende Einschränkungen der Kontakte zu Eltern und Geschwistern tatsächlich notwendig sind oder nicht individuelle Lösungen in Einklang mit den sonstigen gesundheitsbezogenen Maßnahmen als gelindere Mittel gefunden werden können.
Seniorinnen und Senioren
Die Bewohner*innen von Seniorenwohnhäusern sind aus Gründen des Alters und häufiger Vorerkrankungen generell in einer besonders verwundbaren Situation. Dies verlangt erhöhte Vorsicht, um Ansteckungen mit dem Covid-19-Erreger zu verhindern. Zugleich bedeutet es für viele betagte Menschen eine massive Belastung, wenn sie ihre gewohnten Kontakte nicht aufrecht erhalten können.
Derzeit gelten aufgrund der 3. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung bundesweit starke Einschränkungen der Besuche in Alten-, Pflege- und Behindertenheimen. Zur Wahrung der Grundrechte der Bewohner*innen ist es dringend geboten, von den durch diese Verordnung gewährten Spielräumen Gebrauch zu machen. Vor allem dürfen die in den Seniorenheimen getroffenen Maßnahmen nicht unverhältnismäßig sein und keine unzumutbaren Härten mit sich bringen. Die Einrichtungsleiter*innen und die für die stadteigenen Seniorenwohnhäuser Verantwortlichen der Sozialabteilung der Stadt Salzburg sind daher gefordert, einen sachlichen Ausgleich zu finden und weiterhin Besuche zuzulassen, soweit dies mit dem Gesundheitsschutz vereinbar ist.
Vor diesem Hintergrund erscheint es problematisch, dass Heimträger aus der Verordnung vereinzelt eine Beschränkung auf einen Besuch pro Woche herauslesen. Eine an den Grundrechten orientierte Auslegung spricht vielmehr dafür, die Zahl der Besuche ein und desselben Angehörigen nicht zu limitieren. Angesichts der ohnehin zu treffenden Vorsichtsmaßnahmen (negatives Testergebnis des Besuchers, Maskenpflicht) ist es unverhältnismäßig, den Kontakt von Bewohner*innen zu ihren engsten Angehörigen auf eine Stunde pro Woche zu beschränken.
Im Hinblick auf die bevorstehenden Feiertage sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass diese in vielen Familien ein wichtiger Anlass sind, Verwandte zu treffen. Dafür sollten Möglichkeiten geschaffen werden, auch um zu verhindern, dass Bewohner*innen das Seniorenwohnheim verlassen müssen, um ihre Angehörigen sehen zu können.
Menschen in stationärer Behandlung
Auch in Krankenanstalten wird der Verhinderung einer Ausbreitung des Covid-19-Erregers hohe Priorität eingeräumt. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde in allen Standorten der Salzburger Landeskliniken ein weitgehendes Besuchsverbot erlassen. Abgesehen von sehr engen Ausnahmen (Palliativstationen, Väter bei Geburt ihres Kindes, ein Elternteil eines erkrankten Kindes) dürfen keine Besuche stattfinden.
Diese Einschränkungen können für Patient*innen, vor allem im Fall eines längeren Spitalsaufenthalts, mit erheblichen psychischen Belastungen einhergehen. Im Hinblick auf das Recht auf Achtung des Familienlebens der betroffenen Patient*innen, aber auch ihrer Angehörigen, ist die Verhältnismäßigkeit dieses beinahe absoluten Besuchsverbots zweifelhaft. Dabei ist auch zu bedenken, dass die in den Spitälern der SALK geltenden Einschränkungen weit über jenes Maß hinausgehen, das vom Gesundheitsministerium für notwendig erachtet wird und in der 3. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung geregelt wurde.
Angesichts der beispielsweise in den Seniorenwohnhäusern der Stadt Salzburg geltenden Besuchsregeln ist fraglich, ob es wirklich notwendig ist, Besuche in Krankenhäusern derart streng zu beschränken. Generell wäre eine stärkere Berücksichtigung der individuellen Umstände wünschenswert.
Strafgefangene
Strafgefangene müssen während der Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe notgedrungen starke Einschränkungen ihrer Kontakte zur Außenwelt hinnehmen. Diese Einschränkungen wurden in den vergangenen Monaten noch deutlich verschärft, um eine Ausbreitung von Infektionen in den Justizanstalten zu verhindern. So waren vorübergehend alle Besuche von Angehörigen und Bekannten ausnahmslos untersagt. Derzeit ist der Besuchsempfang zwar unter gewissen Auflagen wieder möglich, doch bestehen nach wie vor starke Einschränkungen. Hier ist das Justizministerium gefordert, durch entsprechende Vorkehrungen Besuche zu ermöglichen und gegebenenfalls zumindest Ersatz in Form von Videotelefonaten anzubieten.
Empfehlungen
Der Runde Tisch Menschenrechte empfiehlt den Verantwortlichen, bei allen Entscheidungen über die Aufrechterhaltung, Verschärfung und Lockerung von Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie die jeweiligen Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Personengruppen zu berücksichtigen. Da sich solche Maßnahmen je nach familiärem, persönlichem und institutionellem Umfeld ganz unterschiedlich auswirken können, ist es unabdingbar, die konkreten Folgen abzuschätzen. Daraus kann sich die Notwendigkeit ergeben, differenzierte Regeln zu schaffen und wo notwendig Ausnahmen vorzusehen.
Gerade vor den für viele Menschen mit besonderen Emotionen verbundenen Feiertagen ist es wichtig, dass Beziehungen soweit wie möglich gepflegt werden können.
DDr. Philip Czech, Mag. Norbert Krammer, Dr. Andrea Holz-Dahrenstaedt und DSA Christian Treweller