Die seit einigen Wochen stetig sinkenden Infektionszahlen erlauben einen schrittweisen Abbau der Maßnahmen, die zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie geboten waren. Wie schon die Entscheidung über die damit verbundenen Einschränkungen muss sich auch die Vorgangsweise bei den Lockerungen und Öffnungen an menschenrechtlichen Vorgaben orientieren.
So ist es auch und gerade jetzt geboten, auf einen fairen Ausgleich der Belastungen zu achten, mit denen verschiedene Gruppen der Gesellschaft konfrontiert sind. Die bisherigen Strategien zur Bekämpfung der Pandemie haben vor allem Kinder und Jugendliche unverhältnismäßig stark belastet. Es ist daher höchste Zeit, ihren Interessen mehr Gewicht beizumessen und größere Anstrengungen zu unternehmen, um ihr Wohlbefinden zu gewährleisten. Dies ist nicht zuletzt ein Gebot der gesellschaftlichen Solidarität, in deren Namen Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Monaten sehr viel abverlangt wurde. Die Rücksichtnahme auf die Interessen und das Wohl von Kindern entspricht auch einer menschenrechtlichen Verpflichtung, zu der sich Österreich auf internationaler und europäischer Ebene bekannt hat und die in der Bundesverfassung ausdrücklich normiert ist.
Lebensräume von Kindern und Jugendlichen
Kinder haben ein Recht auf Freizeit und auf gesellschaftliche Teilhabe. Dieses Recht wird nach wie vor durch Einschränkungen beim Zugang zu Sportanlagen, Freizeiteinrichtungen, kulturellen Veranstaltungen oder der Gastronomie massiv beschnitten. Kontakte zu Gleichaltrigen sind für das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen unerlässlich. Dazu müssen ihnen die nötigen Räume zur Verfügung gestellt werden, in denen sie sich treffen und gemeinsame Erfahrungen machen können. Sofern Einschränkungen aus epidemiologischer Sicht noch notwendig sind (etwa in geschlossenen Räumen), sollten so weit wie möglich Alternativen – insbesondere im Freien – zur Verfügung gestellt werden. Hier sind kreative Lösungen gefragt. Um eine aktive Freizeitgestaltung in den Sommermonaten zu ermöglichen, sollten Stadt und Land Salzburg soweit wie möglich darauf verzichten, geplante Veranstaltungen im Hinblick auf möglicherweise geltende Einschränkungen und Auflagen ersatzlos abzusagen.
Schule als Lern- und Lebensraum
Die Ampel leuchtet mittlerweile fast überall gelb-grün, nur für die Schulen bleibt sie unabhängig vom Infektionsgeschehen bis Ende des Schuljahres auf Rot. Kinder und Jugendliche zählen zu den wenigen Gruppen, die nach wie vor einer strengen Pflicht zur regelmäßigen Durchführung von Antigen-Tests unterliegen. Immerhin ist mit 15. Juni die Verpflichtung zum Tragen von FFP-2-Masken zumindest am Sitzplatz weggefallen.
Gerade für Kinder und Jugendliche sind die in den Schulen drei Mal pro Woche durchzuführenden Tests eine erhebliche Belastung. Das ständige Erinnern an einen Ausnahmezustand und eine stets drohende Gefahr bringen eine erhebliche psychische Belastung mit sich. Das Gefühl der Rückkehr zu einem normalen Lernumfeld wird so kaum zu erreichen sein. Aus Sicht des Kindeswohls ist es daher dringend geboten, die Notwendigkeit dieser Maßnahme zu hinterfragen. Ihre Rechtfertigung schwindet in dem Maße, in dem eine Überlastung der Intensivmedizin durch die fortschreitende Impfung immer größerer Teile der Bevölkerung nicht länger droht.
Zudem ist es im Hinblick auf eine dringend gebotene Rückkehr zu einem möglichst „normalen“ Unterrichtsumfeld im Herbst höchst an der Zeit, alternative Vorkehrungen zu planen. So können etwa fest installierte Lüftungsanlagen das Risiko von Übertragungen durch Aerosole minimieren und zugleich helfen, in der kalten Jahreszeit ein akzeptables Raumklima zu schaffen. Eine neuerliche Einführung der Pflicht zum Tragen von FFP-2-Masken sollte nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Einschränkung der nonverbalen Kommunikation in jedem Fall durch alternative Maßnahmen vermieden werden. Auch dem Entfall von gerade für das psychische und physische Wohlbefinden wichtigen Unterrichtselementen wie Sport, Singen und anderen Gemeinschaftsaktivitäten könnte durch die rechtzeitige Vorsorge für ein zusätzliches Raumangebot vorgebeugt werden.
Im Hinblick auf die Impfungen, die in absehbarer Zeit zumindest für die Gruppe der über 12-Jährigen zur Verfügung stehen werden, ist an den Vorrang des Kindeswohls und die Autonomie von Kindern zu erinnern. Die Entscheidung für oder gegen eine Covid-19-Impfung muss von Kindern frei getroffen werden können, wozu ihnen Informationen und – soweit altersgemäß erforderlich – Unterstützung zu gewähren sind. Angesichts der bei Kindern stark herabgesetzten Gefahr schwerwiegender Erkrankungen ist es ethisch nicht vertretbar, ihnen im Sinne des Ziels einer Herdenimmunität die mit einer Impfung verbundenen Risiken und Belastungen zuzumuten. Es wäre daher höchst problematisch, den Schulbesuch von einer Impfung abhängig zu machen. Dies gilt umso mehr, solange für Lehrerinnen und Lehrer die Impfung keine Voraussetzung für die Berufsausübung darstellt.
Therapie zur Minderung psychosozialer Nachteile
Die intensiven Belastungen von Kindern und Familien in den vergangenen Monaten haben auch bei vielen Minderjährigen psychische und psychosomatische Spuren hinterlassen. Vor allem Angststörungen und depressive Symptome haben stark zugenommen. In zahlreichen Fällen sind psychotherapeutische Behandlungen dringend geboten, um das psychische Gleichgewicht wiederherzustellen und Langzeitfolgen so gut wie möglich zu vermeiden. Der stark gestiegenen Nachfrage nach Psychotherapie steht allerdings in Salzburg ein zu knappes Angebot gegenüber. Dies liegt weniger an einem Mangel an Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, als an der unzureichenden Finanzierung durch die Gesundheitskassen.
Die Verantwortlichen sind daher gefordert, stärkere Anstrengungen zu unternehmen, um den Zugang zu leistbarer Psychotherapie für alle Kinder und Jugendliche zu ermöglichen, die diesen benötigen.
Empfehlungen
Die aktuelle Entwicklung hin zu einer Rückkehr zur Normalität verlangt von allen Verantwortlichen eine verstärkte Rücksichtnahme auf die Interessen von Kindern und Jugendlichen. Gerade ihnen wurde bereits unverhältnismäßig viel abverlangt. Es ist an der Zeit, ihre Bedürfnisse stärker in den Blick zu nehmen und alles daran zu setzen, ihren Alltag so normal wie möglich zu gestalten. Wo notwendig, müssen außerdem ausgleichende Maßnahmen ergriffen werden, um Kindern und Jugendlichen eine Bewältigung der mit der Pandemie verbundenen Belastungen zu erleichtern.
DDr. Philip Czech, Dr.in Andrea Holz-Dahrenstaedt, Mag. Norbert Krammer und DSA Christian Treweller für den Runden Tisch Menschenrechte der Stadt Salzburg